Eduard Brünhofer, ehemals gefeierter Autor von Liebesromanen, sitzt im Zug von Wien nach München. Nicht unbedingt in der Absicht, sich mit der Frau frühen mittleren Alters im Abteil zu unterhalten. Schon gar nicht in der Absicht, mit ihr über seine Bücher zu sinnieren. Erst recht nicht in der Absicht, über seine Ehejahre mit Gina zu reflektieren. Aber Therapeutin Catrin Meyr, die Langzeitbeziehungen absurd findet, ist unerbittlich. Sie will mit ihm über die Liebe reden. Dabei gerät der Schriftsteller gehörig in Zugzwang.
Daniel Glattauers neuester Roman
Nachdem ich im Jahr 2019 den Klassiker des Autors, Gut gegen Nordwind, und dann dessen Fortsetzung, Alle Sieben Wellen, besprochen habe, durfte ich 2023 auch Die spürst du nicht rezensieren. Nun ist der Autor zurück mit diesem neuen Buch, welches bereits mit seinem Titel treffend den Handlungsort beschreibt. Unser Protagonist Eduard Brünhofer findet sich in einem Zug auf dem Weg von Wien nach München wieder, eine ähnliche Strecke wie jene, die ich zur Zeit des Hörens gefahren bin. Dementsprechend habe ich mich in die perfekte Position gebracht, um diesen fünf Stunden eines intensiven Gesprächs mit einer unverhofften Sitznachbarin zu lauschen, von der unser Protagonist erzählt. Dabei erhalten wir eine unterhaltsame Mischung aus Dialogen und Gedankengängen unseres Protagonisten, die uns seiner Gesprächspartnerin, aber vor allem auch ihm näherbringen.
Erzählte Zeit entspricht Erzählzeit
Auf einer fünfstündigen Zugfahrt lässt sich dieses Hörbuch wundervoll genießen. Ich habe teils einfach aus dem Fenster geblickt und der Lesung von Christian Berkel gelauscht. Vor allem habe ich genossen, dass wir die Unterhaltung unserer Hauptfiguren praktisch in Echtzeit erleben, einzig unterbrochen von den Reflektionen unseres Erzählers. Das lässt das Erzählte noch realistischer erscheinen und uns den Charakteren näherkommen. Sowohl die Dialoge als auch die Gedanken des Protagonisten rotieren um zwei bedeutende Themen: Liebe und das Schreiben. Für diejenigen, die das Buch oder Hörbuch in die Hand nehmen, kann das Ganze dadurch etwas metanarrativ erscheinen. Das mindert jedoch nicht den packenden Effekt, den die Geschichte auf die Hörenden und Lesenden hat, vielmehr intensiviert es diesen.
Ein Liebesroman der besonderen Art
Diese Geschichte handelt von Liebe, jedoch ohne sie ausdrücklich zu präsentieren. Hingegen handelt die Unterhaltung zwischen Eduard und Catrin von ihren jeweiligen, teils stark verschiedenen Erfahrungen mit diesem Gefühl. Auch kommen sie darauf zu sprechen, wie viel Wahrheit in geschriebener Fiktion steckt und wie das Schreiben die eigenen Gefühle widerspiegelt oder verändert. Dieses Gedankenspiel ist auch für nicht-Schreibende durchaus faszinierend. Ich habe es vor allem genossen zu hören, wie die anfängliche Zurückhaltung sich langsam löst und tiefgründigen Diskussionen Platz bietet. Und ein oder zwei gelungene Überraschungen hat der Autor auch für uns in petto.
Fazit
Zwar hat mich dieser Roman emotional nicht auf dieselbe Weise mitgenommen wie andere Bücher des Autors, doch er hat durchaus zahlreiche Reflektionen in mir gestartet und mich zudem wundervoll unterhalten, während ich sehr passend in einem Zug saß.

Der Autor:
DANIEL GLATTAUER, geboren 1960 in Wien, war zwanzig Jahre Journalist beim Standard. Mit ›Gut gegen Nordwind‹ (2006) gelang ihm der schriftstellerische Durchbruch. Es folgten weitere erfolgreiche Romane. Seine Bücher wurden in mehr als vierzig Sprachen übersetzt und verkauften sich weltweit millionenfach. Er verfasste zahlreiche Theaterstücke, die zu den meistgespielten im deutschsprachigen Raum gehören. Sein Roman ›Die spürst du nicht‹ (2023) stand wochenlang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste. Q
Der Sprecher:
CHRISTIAN BERKEL wurde 1957 in West-Berlin geboren und ist einer der bekanntesten deutschen Schauspieler, Hörbuch- und Hörspielsprecher und Autor. 2020 wurde Christian Berkel mit dem Deutschen Hörbuchpreis als Bester Interpret ausgezeichnet. Für das Hörbuch »Gut gegen Nordwind« von Daniel Glattauer, das Christian Berkel gemeinsam mit seiner Ehefrau Andrea Sawatzki gelesen hat, erhielten sie die goldene Schallplatte. Christian Berkel lebt mit seiner Familie in Berlin. Q
