[Rezension] Corpus Delicti: Ein Prozess von Juli Zeh

Jung, attraktiv, begabt und unabhängig: Das ist Mia Holl, eine Frau von
dreißig Jahren, die sich vor einem Schwurgericht verantworten muss. Zur
Last gelegt wird ihr ein Zuviel an Liebe (zu ihrem Bruder), ein Zuviel
an Verstand (sie denkt naturwissenschaftlich) und ein Übermaß an
geistiger Unabhängigkeit. In einer Gesellschaft, in der die Sorge um den
Körper alle geistigen Werte verdrängt hat, reicht dies aus, um als
gefährliches Subjekt eingestuft zu werden. Juli Zeh entwirft in Corpus
Delicti das spannende Science-Fiction-Szenario einer Gesundheitsdiktatur
irgendwann im 21. Jahrhundert, in der Gesundheit zur höchsten
Bürgerpflicht geworden ist. Q (Werbung)
Juli Zeh, btb Verlag, Einzelband
272 Seiten, 48 Kapitel, TB
9,99€, ISBN: 978-3-442-74066-6
Kaufen, Leseprobe
(Werbung)

Juli Zeh

studierte Jura in Passau und Leipzig. Schon ihr Debütroman „Adler und
Engel“ (2001) wurde zu einem Welterfolg, inzwischen sind ihre Romane in
35 Sprachen übersetzt. Ihr Gesellschaftsroman „Unterleuten“ (2016) stand
über ein Jahr auf der SPIEGEL-Bestsellerliste. Juli Zeh wurde für ihr
Werk vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Rauriser Literaturpreis
(2002), dem Hölderlin-Förderpreis (2003), dem Ernst-Toller-Preis (2003),
dem Carl-Amery-Literaturpreis (2009), dem Thomas-Mann-Preis (2013) und
dem Hildegard-von-Bingen-Preis (2015). Q (Werbung)

Meine Meinung

Auf dieses Buch hatte ich zugegeben sogar mehr Lust als auf bisher so ziemlich alle anderen, die ich jemals für die Schule lesen musste. Denn ein recht moderner Roman, noch dazu eine Dystopie, liest man nicht sonderlich oft in der Schulzeit. Dann begann ich zu lesen und kam wirklich schnell voran, auch wenn mir der Inhalt dieses Buches vorerst etwas suspekt erschien. Die Geschichte von Mia, die nach dem unschuldigen Tod ihres Bruders Moritz sich nach und nach immer weiter gegen das bestehende, in seinem Fall versagt habende System wendet, fällt aus so ziemlich jedem meiner Raster.

Eine junge Frau namens Sybille, mit der er sich nach eigenen Angaben zu einem Blind Date an der Südbrücke verabredet hatte, war bei seinem Eintreffen weder sympathisch noch unsympathisch, sondern tot.
– S.33

 

Wenn ich eines über dieses Buch zu sagen habe, dann, dass es aus all meinen Bewertungskriterien herausfällt. Ich könnte sie nun Schritt für Schritt abarbeiten: Waren mir die Charaktere sympathisch? Alles andere als das! Kramer war zwar interessant, aber auch irgendwie gruselig. Mia war okay, jedoch mir an einigen Stellen auch zu irre, auch wenn man das bei ihrer Geschichte verstehen kann. Alle anderen, bis auf Moritz, waren einfach nur flach und hatten für mich nicht wirklich Charakter. Vielleicht noch Rosentreter, den ich eigentlich recht gut leiden konnte, aber es gab einfach keinen Charakter, von dem ich sagen kann: Wow, gäbe es den nur in Echt, ihm würde ich mal begegnen wollen.

„Und genau das war schon immer so. Bauerntöchter haben ihre Gutsherren geliebt. Nonnen den Klostergärtner. Brüder ihre Schwestern. Schülerinnen den Lehrer. Erwachsene Männer ihren besten Freund. Und heute lieben eben Tausende das falsche Immunsystem. Alle wollen glücklich sein.“
– Mia, S.113

 

Es gibt auch einen Charakter, der sogar noch gruseliger ist als Kramer. Die sogenannte Ideale Geliebte ist, wie man will, eine Wahnvorstellung Mias, die Moritz erschaffen hat und die sie jetzt nach seinem Tod begleitet und tröstet. Ich mochte ihren Part, sie hat immer offen gesagt, wozu Mia zu feige war, auch wenn sie ja schlussendlich nicht wirklich da war sondern nur in ihrem Kopf. Aber sie hat mich zumindest hin und wieder etwas amüsiert im Gegensatz zu dem Rest des Buches.

„Ich stehe für das, was Sie in Wahrheit denken!“, ruft Mia. „Ich stehe für das, was alle denken! Ich bin das Corpus Delicti, Würmer. Wiederholen Sie ihre Lügen und sehen Sie mir dabei ins Gesicht!“
– Mia, S.218

Was an diesem Buch wirklich außergewöhnlich ist, ist die Erzählform. Der Erzähler berichtet über Mia in der Sie – Form, ist dabei allwissend und übernimmt teilweise sogar eine Art Kommentatorfunktion, die Wissen vermittelt, das nicht unbedingt in den Zusammenhang passt. Weiterhin findet man in diesem Buch teilweise sehr verspachtelte und komplexe Sätze, immerhin sprechen die Charaktere öfters von einem uns unbekannten System und Mia ist noch dazu Naturwissenschaftlerin. Daher denke ich nicht, dass das Buch jedem gefallen wird, dennoch sollte man es meiner Meinung unbedingt lesen.

Fazit:

Ein literarisches Unikat über die Frage, was uns mehr bedeutet: Wohlergehen und Gesundheit oder Freiheit. Eine Frau, die das Vermächtnis ihres Bruders lebt, den sie erst nach seinem Tod wirklich zu verstehen glaubt. 

Liebe Grüße, eure Sophia!

2 thoughts on “[Rezension] Corpus Delicti: Ein Prozess von Juli Zeh

  1. Das Buch hört sich interessant an, bisher kenne ich es noch nicht bzw. hab es noch nie irgendwo gesehen. Obs jetzt wirklich was für mich wäre ist fraglich, da ich verrückte Charaktere nicht so gerne mag ^^

    lg Sally

    1. Hey 🙂

      Habe ich irgendwo verrückt geschrieben? Dann war es auf jeden Fall nicht so gemeint. Verrückt sind die Charaktere auf jeden Fall nicht, mir waren sie teilweise nur etwas zu flach, auch wenn sie erstunlicherweise alle eine gewisse Eigenschaft verkörpern, was irgendwie doch schon wieder sehr interessant ist.

      LG
      Sophia

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