[Rezension] Die Wissenschaft von Game of Thrones: Wie George R. R. Martin die Welt von Westeros erfand von Jean-Sébastien Steyer *Rezensionsexemplar*

Wie schuf George R. R. Martin die Welt von »Game of Thrones«? Hier ist die Antwort. Entdecken Sie zusammen mit Top-Experten einen aufregend neuen Zugang zu Saga und Serie. Spezialisten aller Fachgebiete nehmen sich Facts und Fiction vor und fördern faszinierende Details und überraschende Erkenntnisse zutage. Das mittelalterliche Fantasy-Universum zeigt sich in neuem Licht, wenn man die Wissenschaft als passenden Schlüssel benutzt. Wir erfahren alles über Sprache, Geschichte, Psychologie und Klima der Sieben Königreiche. Wer hat Dothraki erfunden? Wie schnell wachsen Drachen? Was ist über die Geografie von Planetos bekannt? George R. R. Martin gilt zurecht als der amerikanische Tolkien. Er hat sein kolossales Romanwerk so genial konstruiert, dass Wissenschaft und Unterhaltung Hand in Hand gehen. Illustriert ist das Buch von William Simpson, dem Storyborder der Serie.

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Zu diesem Buch konnte ich vor fast einem Jahr einfach nicht Nein sagen. Ich hatte soeben eine Hausarbeit zu House of the Dragon verfasst und war noch willig, jede kleinste Analyse der von George R.R. Martin geschaffenen Welt zu verschlingen. So kam mir dieses Rezensionsexemplar wie gerufen. In ihm setzen sich acht Wissenschaftler*innen mit der fiktiven Welt von Das Lied von Eis und Feuer auseinander und verleihen ihr Sinn. Dazu nutzen sie ihre verschiedenen Disziplinen und rationalisieren auf faszinierende Weise die fantastische Welt, die uns so begeistert.

Im ersten Kapitel zieht Jean-Paul Demoule Parallelen zu den Inspirationsquellen von George R.R. Martin, die er in der eurasischen Geschichte, aber auch literarischen Vorbilder wie Tolkien benennt. Zudem verordnet er einzelne Orte, besonders die freien Städte, in unserer Welt, in bestimmten historischen Epochen und Kulturen. So setzt er Sothoryos mit Afrika, Essos mit Asien, Westeros mit Europa gleich. Demnach repräsentieren die Dothraki die asiatischen Barbaren in der europäischen Überlieferung. Zuletzt bringt Demoule an, wie dieser Fantasy-Epos auch moderne Probleme widerspiegelt. Dabei verweist er auf unsere Klimakatastrophe, den Bau von Mauern, Völkermorde bzw. Massaker und sogar maritime Ethnografie.

Stephen Giner erstellt im zweiten Kapitel „eine tektonische und geologische Theorie dieses Planeten“ (54), wodurch er auf bildliche Weise den geografischen Aufbau der uns bekannten Karte erklärt. Außerdem ergibt durch seine Veranschaulichung unter anderem das Goldvorhaben der Lennisters Sinn.

 

Kein Zweifel, die Welt des Lieds von Eis und Feuer ist in erster Linie eine Welt der Vielfalt der Sprachen und Kulturen. – Frederic Landragin auf Seite 133

 

Dan Lunt passt im Anschluss ein Klimamodell auf den permanenten Sommer/Winter in bestimmten Regionen der uns bekannten Welt. So erklärt er u.a. die Seetauglichkeir der Eisenmänner mithilfe der globalen Windströmungen. Mir fehlten besonders in diesem Kapitel Referenzen zu Buch und Serie, die seine Beobachtungen untermalen. Auch meine ich, dass der Autor einen Großteil von Planetos auf seiner Karte vergessen hat. Andererseits geht er jedoch noch weiter und legt den Einfluss des Klimas auf politische Entwicklungen dar. Ich dachte zuerst nicht, dass mich dieses Kapitel dermaßen faszinieren könnte, doch Dan Lunt erweckt durchaus mein Interesse für seine Disziplin.

Fréderic Landragin schrieb das Kapitel, welches mich von Anfang an am meisten begeistert hat. Als Studentin der Sprache hatte ich großes Interesse an seiner Besprechung von Neologismen. Diese zeigt er zuerst in der französischen Übersetzung auf. Dann spricht er allgemeiner, aber mit treffenden Beispielen über die Macht der Worte in Martins Welt. Auch seine Diskussion von Polysemie und den verschiedenen Sprachen in ihrer in den Büchern aufgezeigten Komplexität hat mich gefangen genommen. Zudem bespricht er verschiedene Dialekte, Register, den Gebrauch von Umgangssprache, die für die Serie kreierte Sprache Dothraki und sogar die Kommunikation mit Tieren in den Büchern. Dieses Kapitel hat wahrlich nicht enttäuscht trotz meiner hohen Erwartungen.

 

Wir begeben uns auf eine fantastische Reise, um die Naturgeschichte der Welt von George R. R. Martin im Licht des heutigen Wissens nachzuzeichnen.
– Jean-Sébastien Steuer auf Seite 160

 

Jean-Sébastien Steyer vollzieht eine morpho-anatomische Analyse der Fauna in Martins Welt. So vergleicht er sie zu uns bekannten, vorzeitlichen Tieren und Menschenformen. Besonderer Aufmerksamkeit schenkt er dann wich der Evolution der Drachen, wobei er Daenerys zu meiner Überraschung als Targaryenierin bezeichnet (181). Ist das der offizielle, deutsche Begriff? Ergibt Sinn, klingt dennoch eigenartig.

Ausgehend von einer ganz anderen Disziplin blickt Yann Leroux auf die psychologische Entwicklung der Charaktere. Dabei zeigt er auf, wie Serie und Saga die Zurückgewiesenen in den Vordergrund stellt (Bastarde, Frauen, Krüppel, etc.). Eine genauere Betrachtung von Joffrey Baratheon ist nicht nur für uns faszinierend, sondern bringt seiner Aussage auch einen Nutzen für Studierende der Psychologie mit sich.

 

Was auch immer man ist, man ist es aufgrund der äußeren Umstände und durch das, was man daraus macht. Das ist die psychologische Botschaft von Game of Thrones. Eder Charakter stammt aus einer Familie mit eigenen Geschichten, Geheimnissen und Verbindungen. Alle erleben traumatische Dinge, wobei jeder seine Erfahrungen auf seine ganz persönliche Weise verarbeitet. In dieser Hinsicht ist Game of Thrones ein hervorragendes Lehrbuch über die Erfolge und Misserfolge der Resilienz. – Seite 193

 

Barbara Le Maitre befasst sich abschließend mit dem Motiv der Leiche im Prolog. In diesem Zuge greift sie ähnliche Darstellung in der Kunstgeschichte auf und spekuliert über potentielle Intentionen und Bedeutungen.

Dieses Buch sammelt verschiedenste Blickwinkel auf die fantastische und faszinierende Welt von George R. R. Martin. Dabei ziehen die Autor*innen die visuellen Eindrücke der Serie oftmals den Beschreibungen in den Büchern als Referenzen vor. Das ist etwas schade, aber durchaus verständlich. Geschrieben sind ihre Kapitel dabei auf eine sehr zugängliche Weise, die Laien ihrer jeweiligen Disziplinen innerhalb weniger Seiten brieft. Unser Interesse wecken sie durch die Leidenschaft, die sie gleichermaßen für die Welt von Game of Thrones mitbringen. Sie bieten uns faszinierende Artikel, in denen sie eine angeblich fiktive Welt rationalisieren und aufzeigen, wie viel Wahrheit und Mehrwert in ihr steckt. Unterbrochen und unterteilt werden diese lehrreichen Kapitel durch von der Serie und der Buchreihe inspirierten Zeichnungen, die unserem Auge noch mehr zum Staunen geben.

 

Fazit

Die Kapitel dieser Sammlung untersuchen die von George R. R. Martin kreierte Welt und deren Charaktere durch wissenschaftliche Filter der Geologie, Linguistik, Psychologie, etc. Dabei bieten sie lehrreiche Überblicke über die grundlegenden Ansätze der Disziplin und wenden diese dann im Detail und auf faszinierende Weise auf Game of Thrones und die originale Buchreihe an.

 

 


Der Herausgeber:

Jean-Sébastien Steyer beschäftigt sich neben seinen paläontologischen Forschungen im CNRS und am Pariser Nationalmuseum für Naturkunde mit Wissenschaft in Science Fiction und Fantasy. Aus der Begeisterung für fantastische Literatur sind inzwischen mehrere Bücher entstanden, darunter „Die Wissenschaft von Mittelerde“ sowie „Die Wissenschaft von Game of Thrones“. Q

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