Wir schreiben das Jahr 632 nach Henry Ford. Den Menschen ist es gelungen, eine Gesellschaft ohne Krankheit, Krieg, Armut und Alter zu schaffen. Ihr Lebensweg ist vorbestimmt und jedes extreme Gefühl, aber auch jeder kritische Gedanke, wird von der Droge Soma in Glückseligkeit verwandelt. Bis ein Außenstehender auftaucht und hinter die Fassade dieser scheinbar schönen Welt blickt.
Diese Graphic Novel hüllt Aldous Huxleys prophetische Dystopie von 1932 in ein neues Gewand und zeigt, dass die einst absurde Zukunftsvision heute beinahe schon real ist und Themen wie der Einsatz von Technologie zur gesellschaftlichen Kontrolle, Konsum als Bedürfnisbefriedigung und staatliche Überwachung heute aktueller denn je sind.
Was ich zu sagen habe…
In einem meiner Universitätskurse galt dieser Klassiker als Pflichtlektüre. Nicht die Graphic Novel natürlich, denn diese ist druckfrisch, sondern das Buch von 1932. Ich war von den ersten Seiten an schockiert und gefangen von der Welt, die sich uns als Lesende offenbart. Familien sind obsolet, Kinder aus Reagenzgläsern und über Schlaftherapie auf die ihnen zugeordneten Kasten konditioniert. Eine Welt ohne Literatur und Kultur, in der Bernard zu viel und zu anders denkt, weil er mehr will als „Jeder gehört jedem“. Und nicht das Soma schluckt, was jede kleinste Unannehmlichkeit verschwinden lässt. Man sollte meinen, er findet in John eine vertraute Seele, als er den „Wilden“ mit seinem Hang zu Shakespeare und Monogamie entdeckt. Doch da er sich nicht der betäubten Euphorie des in Neu-London vorgeschriebenen Lebenstils hingibt, will er sich auf andere Art seiner Gemeinschaft beweisen.
Wie auch im ursprünglichen Roman folgen wir mehreren Figuren, von denen wohl keine gut und keine wirklich schlecht ist.
Sie sind Menschen, die ganz verschieden mit ihren Lebensumständen umgehen. Zudem wurden sie verschieden aufgezogen, konditioniert und von anderen Erfahrungen geprägt. Am meisten hervor sticht allemal John, der dank des Illustrators in einem Moment darauf fokussiert scheint, sich als Mann zu beweisen, und im nächsten die sanften Züge eines Kindes annimmt. Grandios wurden die Erzählungen seiner Mutter mit seinen eigenen Erinnerungen nebeneinander gestellt und entwerfen ein tiefgründiges Bild des Charakters, der mir seit Jahren am Herzen liegt. Doch auch Bernard und Lenina, geboren und konditioniert in Neu-London, verleiht er neue, vielschichtige Farben.
„Ich will keinen Komfort. Ich will Gott, Poesie, echte Gefahr, Freiheit und Güte. Ich will Sünde.“
Am Anfang wurde ich etwas von den Erklärungen überrannt, als wir durch eine Schulklassenführung durch die Aufzuchtstation in die Welt eingeführt werden. Ähnlich erging es mir bereits beim ersten Lesen des Romans, weswegen ich der Graphic Novel nicht die Schuld daran geben möchte. Ihre Vorzüge liegen allemal darin, die überladene, von Aldous Huxleys Welt vor unseren Augen in Neonfarben aufleuchten zu lassen. Zugleich vermag sie die verschiedenen Settings und emotionalen Höhepunkte treffend zu prägen. Die Illustrationen versüßen das Leseerlebnis, erleichtern den Zugang zur Geschichte und verkürzen den Leseprozess zudem. Für Lesende, die sich nicht an den Klassiker trauen, ist diese Graphic Novel ein würdiger Ersatz!
Mein Fazit
Ein Klassiker in ganz neuen Farben! Seit ich sie für die Uni lesen musste, fasziniert mich diese Geschichte. Johns Qualen und Kämpfen rühren mich von seinem ersten Auftritt bis noch nach Ende dieses Buches. In dieser Graphic Novel dürfen wir uns schockieren, aber auch bezaubern lassen. Der Illustrator hat die Charaktere in ihrer moralischen und sozialen Vielfalt fantastisch getroffen.
Der Illustrator:
Fred Fordham (*1985) ist Comickünstler aus London. Bevor er sich Comics und Graphic Novels zuwendete, arbeitete er als traditioneller Porträt- und Wandmaler. Seine erste Graphic Novel veröffentlichte er in Frankreich, seitdem erschienen außerdem eine Adaption von Harper Lees To Kill a Mockingbird und Philip Pullmans Die Abenteuer von John Blake (Carlsen). Q