[Rezension] Mary von Anne Eekhout *Rezensionsexemplar*

Im Jahre 1816 hat Mary Shelley, gerade einmal achtzehn Jahre alt, die Geschichte von Frankensteins Monster erschaffen, eine der außergewöhnlichsten, einflussreichsten und faszinierendsten Horrorgeschichten der Weltliteratur.

Es ist der Sommer, den Mary mit ihrem Geliebten Percy Shelley, ihrem neugeborenen Sohn William und ihrer Stiefschwester Claire bei Lord Byron und John Polidori am Genfer See verbringt. Draußen toben Gewitter, nachts sitzen die Freunde am Feuer, trinken mit Laudanum versetzten Wein und lesen sich Gespenstergeschichten vor. Als Lord Byron eines Abends vorschlägt, jeder solle selbst eine Gruselgeschichte schreiben, erinnert sich Mary an einen Sommer in Schottland, als sie und ihre Freundin Isabella den mysteriösen Mr. Booth kennenlernten, einen wesentlich älteren Mann voller Charme und düsteren Geheimnissen …

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Ein düsteres Buch für die länger werdenden Nächte

Als ich diese Neuerscheinung über die Autorin Mary Shelley entdeckte, reizte mich diese unmittelbar mit ihrem Cover und dem Klappentext. Erst bedeutend später verstand ich die Bedeutung der Schlange auf dem Cover, wenn ich ihre Rolle im Buch bis heute noch nicht auszumachen verstehe. So geht es mir leider mit einem Großteil des Buches, das nur in wenigen Momenten bei mir Anklang fand und ansonsten vor allem Verwirrung stiftete. Gleichzeitig spurte es so nachdenkliche und grüblerische Gedankengänge an, die perfekt zu den zunehmend dunklen Tagen des Jahres passen. Somit haben sich meine Erwartungen an ein Buch über die Schriftstellerin von Frankenstein durchaus erfüllt, wenn ich mir jedoch erhofft hatte, mehr aus dieser Lektüre mitzunehmen.

 

Aber vielleicht haben Kinder recht und sehen die Welt so, wie sie ist, bevor der pragmatische Ernst der Erwachsenen ein Tuch darüber breitet. Sehen als Einzige die vollständige Welt, in der alle möglichen Dinge existieren, alles, woran man glauben kann. – Seite 147

 

Anne Eekhout erzählt uns Mary Shelleys Geschichte auf zwei Zeitebenen.

Die im Jahr 1912 in Schottland spielende Jugendhandlung erfahren wir ganz direkt durch Marys Augen. Die Ich-Perspektive bringt uns der Protagonistin und ihren Gefühlen und Erlebnissen nahe. Wir entkommen mit ihr der bisher gekannten Enge Londons und entdecken nicht nur neue Seiten von Natur und Familie, sondern auch ihrer Selbst. Diese Handlung wird vor allem durch Marys Beziehung zu Isabella bestimmt, die uns das Herz erwärmt und zugleich zu zerreißen droht. Schlussendlich ermöglichen es uns die Erlebnisse der jüngeren Mary, ihre Verschlossenheit und auch ihre kreativen Entwicklungen der nur geringfügig älteren Version unserer Protagonistin zu verstehen.

 

Aber sie muss mitmachen, weil sie eine Frau ist und niemand es von ihr erwartet. Sie hat zu viele Rollen zu erfüllen. Sie will sich Geltung verschaffen, wenngleich sie es nicht will, nur um sich Geltung zu verschaffen. – Seite 170

 

Im Jahr 1916 entfaltet sich die wohl bekannteste Geschichte um die Autorin Mary Shelley in der Sie-Perspektive.

Ob dadurch eine Distanz der Protagonistin zu sich selbst symbolisiert werden soll? In der Schweiz kommt die reife Jugendliche mit ihrem Ehemann, ihrer Schwester, Lord Byron und John Polidori zusammen. In einer stürmischen Nacht entschließen sie sich, Gespenstergeschichten zu schreiben. Obwohl dieser Plan die Handlung nur beiläufig begleitet, ist das Wissen um den Ausgang dieses Wettbewerbs ungemein befriedigend. Zwischen Abenden in Gemeinschaft und Nächten in Einsamkeit spielen Marys Beziehungen zu ihrer Ziehschwester und ihrem Geliebten prägende Rollen. Hingegen habe ich die Momente zwischen der Protagonistin und John genossen, die am erfolgreichsten aus dieser schriftstellerischen Begebenheit hervorgehen. Die Autorin vermag es, keiner der Figuren eine scharf umrissene, stabile und eindeutige Persönlichkeit zu schenken. Dadurch die Dynamik zwischen den Charakteren mit Spannung zu erfüllen.

 

Das Landhaus von Herrn Booth und Margaret atmete Verlorenheit. – Seite 182

 

Zwei Zeitebenen ergeben ein vielschichtiges Gebilde, welches die Verlässlichkeit unserer Erzählerin, die zum Teil Mary selbst sein soll, in Frage stellt.

Mysteriöse und gar schockierende Begebenheiten, Formulierungen und Offenbarungen halten die Lesenden durchaus in Atem. Monster entstehen vor unseren Augen, in Marys Realität oder doch nur in ihrer Fantasy? Wir wagen keinem der Ereignisse bedingungslos zu glauben, doch die Gefühle, welche Anne Eekhout beschreibt, sind allemal realistisch. Als ich das Buch zum Lesen auswählte, war ich nicht auf die sich so reizend entfaltende Liebesgeschichte gefasst, die mich darin erwarten würde. Damit schenkt uns die Autorin eine unerwartete, feministische, moderne Geschichte um eine bekannte, historische Persönlichkeit. Geschickt verflicht sie bezeugte Begebenheiten mit neuen, literarischen Wendungen und schenkt uns dabei ein vielschichtiges Werk.

 

Fazit

Ein Buch, das uns in den dunklen Monaten des Jahres schaurige Momente, aber auch herzerwärmende Begegnungen schenkt. Anne Eekhout entführt auf zwei Zeitebenen in das Leben von Mary Shelley. Dabei verwurzelt sie deren größten literarischen Schöpfungen in persönlichen Erfahrungen. Dabei lässt sie uns Marys Gefühle und ihre Zuverlässigkeit als Erzählerin unerwartet hinterfragen.

 

 


Die Autorin:

Anne Eekhout, geboren 1981, lebt in Utrecht. Nach ihrem Jurastudium besuchte sie eine Schreibschule, in der sie ihr schriftstellerisches Talent perfektionierte. »Euer Leben ohne mich« ist ihr erster Roman und wurde für den »AKO Literatuurprijs« und für den niederländischen Debütpreis, die Bronzene Eule, nominiert. Q

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