Hallo liebe Musicalbegeisterten,
richtet man den Blick nicht nur auf deutsche Produktionen, dann kann ein Musical wirklich niemandem in den letzten Jahren entgangen sein. Seit 2016 ist Hamilton, kreiert von Lin-Manuel Miranda, in aller Munde. Ich selbst durfte es bereits am Londoner West End ansehen und bin seit 2018 von ihm besessen. Auch das Buch zur Entstehung des Musicals habe ich bereits besprochen. Von daher sollte es niemanden überraschen, dass ich mir auch die deutsche Produktion – trotz meiner Skepsis – nicht entgehen lassen konnte. Anfang des Monats war es dann soweit und mit einer Freundin begab ich mich nach Hamburg.
Ankunft und Stärkung
Im Gegensatz zu meiner letzten Bahnreise ließ sich an dieser nichts aussetzen – von den Preisen abgesehen. Deswegen ging es für uns bereits kurz nach sieben los. Als wir gegen halb elf dann in Hamburg eintrafen, machten wir uns unmittelbar zur Stärkung ins Good One Café auf. Nichtsdestotrotz genossen wir einen kleinen Umweg durch Planten und Blom, welches bei dem angenehmen Wetter noch friedvoller anmutete. Zum Brunch genossen wir dann Pancakes, einen Frühstücksburrito, heiße Schokolade und Kaffee. Auch die liebe Bedienung trug zu unserem Ankommen in Hamburg bei. Auf dem Weg zum Café musste ich zugegebenermaßen einen Halt bei Cinnamood machen und bereits dann für später am Tag zwei Zimtschnecken (Blaubeer und Bounty) mitnehmen. Diese durfte ich mir einfach nicht entgehen lassen. Und sicher werde ich sie mir nie wieder entgehen lassen, so gut sie geschmeckt haben.
(Mentale) Vorbereitung
Tatsächlich nahm ich an diesen zwei Tagen kein einziges Mal die Bahn. Stattdessen liefen wir nach unserem leckeren Brunch zu unserer Unterkunft nahe des Hauptbahnhofs. Dort stimmten wir uns mit dem OBC-Sountrack ein und verschnauften noch etwas. Zwischen drei und vier liefen wir erneut los, suchten das Hafenviertel auf, ließen uns von Straßenmusizierenden unterhalten und genossen die Sonne. Für 18 Uhr hatten wir direkt gegenüber des Operettenhauses einen Tisch im Bidges & Sons reserviert. Während wir also noch darüber philosophierten, wie die deutsche Produktion wohl sein würde, genossen wir Burger und großzügig beladene Kroketten. Auch ein cooles Paar Socken durften für mich aus dem anliegenden Shop mitgehen.
Theater & Erlebnis an sich
Das Operettenhaus habe ich an diesem Donnerstag zum ersten Mal von innen gesehen. Trotz des Musicals wird es auch nicht zu meiner liebsten Location werden. Ich mochte es, vor der Hamilton-Wand zu posieren, und auch das Personal war sehr nett. Sobald wir jedoch im Saal saßen, taten die sehr engen Reihen der vom Bühnenbild ausgelösten Faszination einen kleinen Abbruch. Und erneut konnte ich nicht umhin, mich deswegen nicht nur über die normalerweise extrem teuren Ticketpreise sondern auch über den für ein Programmheft zu beschweren. Dies sollte aber nicht die bevorstehende Show negativ beflecken.
Hamilton – die Atmosphäre
Sobald das Musical begann, war ich gefangen. Diesen Effekt hat fast jedes Musical auf mich, doch bei Hamilton ist es immer noch etwas Besonderes. Ich liebe einfach die Musik, den Elan auf der Bühne, die Choreografien, die den Umbau der Requisiten involviert. All das haben wir auch in der deutschen Produktion bewundern können. Selbstverständlich habe ich nicht erwartet, alle sprachlichen Ambiguitäten und Witze auch im Deutschen vorzufinden. Deswegen kann ich beruhigt berichten, dass das Gefühl trotz gleich zu erwähnender Abweichungen erhalten blieb. Obwohl ich manchmal das Gefühl hatte, diese deutsche Produktion wollte noch cooler und moderner erscheinen, hatte ich ungemein Spaß. Trotz der Stage-Ticketpreise, die sogar das West End in den Schatten stellen können, würde ich einen weiteren Besuch nicht direkt ausschlagen. Tatsächlich überlege ich, zum Ende der Spielzeit noch einen Versuch zu wagen, um noch mehr Details aufzunehmen.
Hamilton – die Übersetzung
Natürlich kann Lin-Manuel Mirandas Genie nicht vollends übertragen werden. Viele deutsche Texte greifen somit zu anderen Metaphern und Bildern, um ähnliche Bedeutungen zu übermitteln. Hamiltons Beliebtheit in Right Hand Man verglich Washington beispielsweise mit der des Heilands an Pfingsten, was mich sehr amüsiert hat. Ich habe es sogar genossen, Mulligans Allegorie mit dem roten Faden zu vernehmen oder Hamilton sich den Tod aus Fleisch und Blut vorstellen zu hören. Auch mit dem Vizepräsidenten, der Däumchen dreht, habe ich mich schließlich in Take A Break angefreundet. Positiv überrascht hat mich auch die Regieanweisung „Licht auf mich,“ welche Hamilton und seine neuen Freunde in My Shot/Mein Schuss zusammensetzen.
Übersetzungen, die mich jedoch enttäuschen, sind „Na gut“ aus „Be true“ in Helpless, etwas wie „Nur eine?“ anstatt „(Is it a question of if, Burr, or) which one?“ in Winter’s Ball, und – am schlimmsten – das Anstoßen „zu Freiheit“ anstatt „auf Freiheit“ in The Story of Tonight. Auch „Ich war ohnmächtig“ anstelle von „Who the f*** is this?“ in Non-Stop hat mich irritiert. Solche Übersetzungen nehmen nicht nur von der Tiefe der Handlung weg oder irritieren mein Germanistinnen-Hirn, sondern zeichnen Alexander in einem moralisch negativeren Licht. Ganz weg fiel zudem auch die bedeutungsschwangere Zeile „Like I Said“ zwischen Aaron Burr, Sir und My Shot.
Überrascht war ich zudem von einigen Zeilen, die nicht übersetzt wurden. An einigen Stellen ergab das für mich absolut Sinn, da sie Zitaten gleichkommen. So zum Beispiel bei „The World Turns Upside Down“ in Yorktown oder „And if you don’t know, now you know, Mr. President“ in Cabinet Battle #1 sowie weiteren Stellen. In anderen Momenten obliegt diese Unterlassung einer Übersetzung wohl der Schwierigkeit einer solchen, beispielweise bei „Everybody give it up for America’s favorite fighting frenchman“ in Guns and Ships. Möglich wäre es meiner Meinung nach gewesen, History has its eyes on you zu belassen. Andererseits gefällt mir auch „Die Geschichte wird dein Zeuge sein“ unglaublich gut.
Hamilton – Revolutionäre
Wir hatten leider nicht die vollständige Hauptbesetzung, wurden aber auch von unseren Darsteller*innen keineswegs enttäuscht. Besonders REDCHILD als Hercules Mulligan und James Madison hat mich vom ersten Moment an mit seiner tiefen Stimme fasziniert. Auch Laurens/Philipp-Darsteller Hisham Morscher überzeugte mich sehr mit seiner jugendlichen Ausstrahlung, die vor allem der Rolle im zweiten Akt noch mehr Tiefe verleiht. Dahingegen sah ich leider keine große Veränderung in Alexanders Charakter zwischen dem ersten und zweiten Akt, obwohl mich Oliver Edward ansonsten sehr begeistern konnte. Einzig seine starke Jungspund-Ausstrahlung in Mein Schuss bleibt mir wirklich lebhaft in Erinnerung. Nicht den kompletten deutschen Text verstehen konnte ich leider bei dem Darsteller von Charles Lee und Mr. Reynolds, dessen Akzent für mein Gehör zu viel geschluckt hat. Jedoch fand ich, dass sein Gefolgschaft verlangendes Klatschen am Ende von Say No To This den Plot gegen Alexander und Marias unfreiwillige Beteiligung noch treffender zum Ausdruck gebracht hat.
Neben der rührenden Performance von Charles Simmons als Washington darf auch der König nicht unerwähnt bleiben. Jan Kersjes kam dieser Rolle selbstverständlich hervorragend nach, obwohl ich anfangs befürchtete, er könnte sich zu sehr an anderen Darstellern orientieren. Bei You’ll Be Back jedoch hat er mich spätestens mit der Nebengleis-Zeile von seiner Individualität und Originalität überzeugt. Auch Gino Emnes als Burr spielt den „Bösewicht“ hervorragend und rührt uns mit seiner Version von Warte Noch/Wait For It zutiefst. Mir ist auch sehr positiv und überraschend in Erinnerung geblieben, wie ein dynamischer Jefferson, gespielt von Alessandro Cococcia, dem Dirigenten eines der Reynolds Pamphlets reicht.
Hamilton – Frauenpower
Myrthes Monteiro rockte als Angelica den schnellen Teil von Satisfied/Zufrieden sein. Mae Ann Jorolan gelang es kontrastreich von Peggy zu Maria zu werden. Obwohl ich mich auf Ivy Quainoo gefreut hatte, gefiel mir auch Teddy Vermeers Eliza sehr. Es ist allemal nicht ihre Schuld, dass „Dich, dich, dich, dich“ in Burn/Brenn nicht so dynamisch und leidend klingen kann wie „You, you, you, you.“ Überrascht hat mich, dass ich Angelica und Alexanders Beziehung in der deutschen Produktion intensiver empfand. So blickt er sie im Finale meiner Meinung nach länger an, während sie in Take a Break sehr schnell auf Tuchfühlung geht. So erschien mir der Bruch zwischen ihnen in Reynolds Pamphlet fast noch schmerzhafter als in den bisher gesehenen Versionen. Hingegen vermisse ich, wie Angelica in Take a Break unerschütterlich und auch physisch neben ihrer Schwester steht. Eliza darf sich insofern mehr Aktion erlauben, dass sie – mit gebrochenem Herzen – Alexanders Hand nach Phillips Tod wegschlägt. Eine schöne Geste seinerseits und Retour ihrerseits, die in der Disney-OBC-Aufnahme nicht auftaucht.
Hamilton – mein Fazit
In den letzten Wochen habe ich mich mehrfach dabei ertappt, diese Produktion mit veganen Ersatzprodukten zu vergleichen. Als Veganerin habe ich diesen gegenüber weniger Vorbehalte als viele Menschen, die sich omnivor ernähren. Der Hauptvergleichpunkt war allemal der Genuss, obwohl etwas von den Erwartungen und dem Ursprünglichen abweicht. Diese deutsche Inszenierung bringt viele kleine Veränderungen mit sich, die ihr aber keinen allzu großen Abbruch tun. Ich habe die drei Stunden ungemein genossen und nur einmal so laut über eine Abweichung gelacht, dass mich meine Begleitung anstoßend zur Ordnung rufen musste. Stattdessen wurde ich von der deutschen Cast überzeugt und von ihrer Energie mitgerissen. Es hat einfach Spaß gemacht. Warum sollten wir diese deutsche Produktion also nicht genießen, selbst wenn sie nicht einhundertprozentig das Original ist? Ich kann sie allemal weiterempfehlen und ziehe sogar einen erneuten Besuch in Betracht.
Ein weiterer schöner Tag
Den Freitag starteten wir noch gemeinsam bei Pancakes und Scrambled Tofu im Bistro Ivy. Anschließend ging es für meine Begleitung über Ostern zu ihren Eltern, während ich den Tag noch etwas länger in Hamburg genoss. Um die Außenalster habe ich schon länger spazierengehen wollen und kombinierte diesen Weg mit Pausen des Lesens auf sonnigen Bänken. Auch Kjeks stand mit ganz oben auf meiner Hamburg-To-Do-Liste, sodass ich der Bäckerei einen Besuch abstattete. Ihre Kekse und Donuts begleiteten mich sogar etwa zur Häfte am nächsten Tag zu meiner Mutter, sodass wir diese gemeinsam genossen. Etwas richtig Sättigendes gab es dann vor meiner Abreise noch von der Pizza Bande. Auch meine Rückfahrt blieb im Zeitplan und brachte mich sicher zurück nach Leipzig. Von dort startete ich dann nch einer erholsamen Nacht nach Hause ins Osterwochenende. Meiner Mutter aber auch anderen gab es viel von meiner Erfahrung mit dem deutschen Hamilton-Musical zu berichten.
Liebe Grüße, eure Sophia