[Rezension] Motten im Kopf von Hanah Zacher und Guy Bodenmann *Rezensionsexemplar*

„Immer öfter habe ich das Gefühl, nicht dazuzugehören. Negative Gedanken schwirren wie Motten in meinem Kopf herum und engen mein Denken ein. Ich bin nicht genug, muss besser sein, in der Schule, im Aussehen. Das würde viel vereinfachen. Zuerst versuche ich, meinen Körper zu optimieren. Es gibt so viele inspirierende Videos, Blogs und Bilder zum Thema Abnehmen, also fange ich dort an.“

Schon bald drehen sich Linns Gedanken nur noch ums Essen. Sie kreisen um Gewicht und Aussehen, Selbstwert und Zugehörigkeit – wie Motten um das Licht. Wie kann Linn aus dieser gefährlichen Spirale ausbrechen?

Die Geschichte von Linn schildert eindrücklich, wie sich eine Magersucht schleichend zum Problem entwickelt und die Betroffene selbst dies lange nicht wahrnimmt. Dabei geht es der Autorin nicht nur um das Körperbild. Ungeschminkt, authentisch und berührend beschreibt sie generelle Selbstzweifel und persönliche Unsicherheiten, die zu einer Magersucht führen können.

Quelle, Leseprobe, Kaufen (Quelle)

 

Graphic Novel mit informativem Teil

Dieses Buch wurde mir über einen Newsletter vorgestellt und hat mich direkt interessiert. Als Person, die selbst mit Symptomen einer Essstörung zu kämpfen hatte (und gelegentlich hat), finde ich dieses Thema unglaublich wichtig und finde es leider noch immer zu selten repräsentiert. Das geht anscheinend auch der Autorin/Künstlerin und dem Herausgeber dieses Buches so, denn sie kombinieren einen narrativen Ansatz mit einem informativen Anhang, aber auch einer Einleitung, die auf die Themen, den Verlauf des Buches, und die Bedeutung dieses Themas eingeht.

 

In eindrücklichen Bildern widergespiegelt

Der Graphic Novel-Teil des Buches versucht über narrative Transportation den Lesenden zu ermöglichen, sich in eine Person, die von einer Essstörung betroffen ist, hineinzuversetzen. Aufgrund des kurzen Umfanges dieses Teils ist es kein Wunder, dass die Erzählung mir etwas zu sehr „on the nose“ vorkam. Von Anfang an wurde mehr direkt heraus erzählt als gezeigt, was in diesem Umfang wohl notwendig ist, ich aber dennoch etwas schade fand. Nichtsdestotrotz ist die eingenommene Perspektive und deren Formulierungen sehr überzeugend und ich habe viele Gedanken nur allzu gut wiedererkannt. Auch die Spirale, in der sich Betroffene befinden, wurde sehr eindrücklich repräsentiert–die Angst vor den Rückfall in den früheren, unzufriedenen Zustand. Zugleich wird den Lesenden aber auch suggeriert, dass Zufriedenheit nie über physikalische Veränderungen erreicht werden kann, allein, wenn sich das eigenen Selbstbild und Selbstbewusstsein verändert, bzw. psychologisch daran gearbeitet wird.

Auch unsere Gesellschaft (besonders ihr Magerwahn) und externe Reaktionen werden eindrücklich dargestellt, von Bestätigung zu Kritik. Besonders gut fand ich die Erwähnung anderer körperlicher Veränderung, die mit einer Essstörungssymptomatik einhergehen können. Schlussendlich kommen auch Realisationen zwischen den Zeilen zu Ausdruck, zum Beispiel dass Kontrollverlust darauf folgt, in eine Kontrollsucht abzurutschen. Das Ende ist bewusst offen und stellt die Problematik dar, aus den problematischen Gedankenzügen (z.B. „nicht krank genug“ zu sein) auszubrechen, war mir aber dennoch etwas zu abrupt. Obwohl der Ausweg aus einer solchen Symptomatik ganz verschieden aussehen kann, wäre es meiner Meinung nach gut gewesen, zumindest einen etwas stärker reflektierten Umgang mit ihr aufzuzeigen.

 

Der Informationsteil

Nach der Graphic Novel gibt Psychologe Guy Bodenmann leicht verständliche Informationen zum Thema Essstörungen allgemein und zur insbesondere Magersucht.
– Welche Essstörungen gibt es?
– Welches sind die Merkmale einer Magersucht?
– Wie lässt sich die Entwicklung einer Magersucht erklären?
– Was kannst du selbst tun? Q

 

Bereits vor der Graphic Novel hätte ich mir eine Anmerkung diesbezüglich gewünscht, dass Inhalte dieser durchaus triggern können oder auch bestimmte Gedankenzüge betroffener Personen potentiell festigen könnten. Dies kam mir auch zu Beginn des Informationsteils in den Sinn, der nämlich mit einer Einteilung von Essstörungen nach BMI beginnt. Obwohl das Buch offensichtlich nicht direkt an Betroffene adressiert ist, kann diese Einteilung durchaus einen gewissen Erfolgsgedanken im eher unerwünschten Sinne hervorrufen.

Der Informationsteil diskutiert dann verschiedene Entwicklungsfaktoren für eine solche Symptomatik und bietet auch verschiedene Tipps für Betroffene an, was wiederum dafür spricht, dass es sich an eben diese Menschen richtet. Dahingegen ist es jedoch fraglich, inwiefern die potentiellen Entwicklungsfaktoren eine Rolle spielen, auch wenn sie als Hintergrundwissen durchaus die Reflektion von Betroffenen und deren Angehörigen fördern können. Insgesamt scheinen die Informationen vor allem für Nicht-Betroffene von Bedeutung und Relevanz, während ich mir für Betroffene etwas mehr Präzision gewünscht hätte. Besonders die Möglichkeit, an einer solchen Symptomatik, sollte diese unbehandelt bleiben, zu sterben, blieb mir zu undiskutiert. Manche Teile, vor allem das empfohlene Abwiegen von positiven und negativen Seiten der Essstörung, könnte sogar motivierend für Betroffene wirken.

 

Weiterer Anhang

Nach diesem Informationsteil folgen Arbeitsmaterialien, die Betroffenen helfen können, sich mit ihren Gefühlen und ihre Verhalten auseinander zu setzen. Diese scheinen mir durchaus geeignet, um Reflektionen in Gang zu setzen. Zum Einstieg scheinen diese sehr hilfreich, ersetzen aber keine Therapie, was zum Glück aber auch aus dem Informationsteil, geschrieben von Guy Bodenmann, hervorgeht.

Zum Schluss folgt ein Nachwort des Herausgebers, das in vielerlei Hinsicht die Einleitung wiederholt. Erst in diesem Teil wird dann tatsächlich auch der potentiell tödliche Ausgang einer solchen Erkrankung angesprochen–meiner Meinung nach zu spät. Dieses Nachwort gleicht zudem eher einer Rezension und will das Buch anpreisen, was mir an dessen Ende etwas unnütz erscheint. Ich hätte mir hier weniger über das Buch selbst und mehr über die Thematik und die Bedeutung der Diskussion und Repräsentation dieser gewünscht.

 

Fazit

Ich war direkt interessiert und begeistert, als ich diese Kombination aus Geschichte und Information erhalten durfte, und sehe noch immer die guten Intentionen und das Potential dieser Veröffentlichung, mehr Bewusstsein für Essstörungen zu schaffen. In der Umsetzung des gut-intentionierten Plans sehe ich leider aber ein paar Schwächen und sogar potentielle Trigger, die überdacht werden sollten.

 

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

* Die DSGVO-Checkbox ist ein Pflichtfeld

*

Ich stimme zu