[Rezension] Die Lichter unter London 1: Verlorene Städte von Anne Herzel

Der Höllenschlund unter London, genannt die Katakomben: ein in den 90er Jahren entdecktes Höhlensystem jenseits der U-Bahn-Tunnel, das Tausende Meter in die Tiefe reicht. Seinen Grund hat man bis heute nicht gefunden.
Maeve O’Sullivan studiert an der University of Dublin und verfolgt das Ziel, zu einem Mudlark zu werden: einem eingefleischten Tiefenschürfer, der nach Schätzen in den Gewölben sucht. Angestachelt durch eine Wette steigt sie in die Tunnel hinab … verirrt sich jedoch. In dem Versuch, an die Oberfläche zurückzukehren, gelangt sie immer tiefer in dieses Netzwerk verworrener Korridore, bevölkert von grotesken Wesen wie heimtückischen Schlingpflanzen und wandernden Steinen.
Dort begegnet sie dem rätselhaften Blaise. Er rettet sie vor dem sogenannten Wächter, einer Kreatur, die selbst die Mudlarks fürchten. Maeve wird von diesem mit einem Zeichen belegt, das sie zu einem Leben in der Tiefe verdammt – ohne die Möglichkeit, die Katakomben je wieder zu verlassen.
Gemeinsam mit Blaise beginnt sie eine Reise in die Tiefe, mit dem Ziel, am Grund der Unterwelt eine Heilung zu finden.

Quelle, Leseprobe, Kaufen

 

Unerwartetes Vergnügen

Von diesem Buch und dessen Autorin hatte ich wahrlich noch nichts gehört, als ich die Leipziger Buchmesse vor ein paar Wochen besuchte. Dort sprach mich die Frau der Autorin unverhofft an und bot mir und meinen Begleiter*innen die Chance, dieses Buch über ein ehrliches Würfelspiel zu gewinnen. Oder zumindest eine Chance drauf. Dass ich dann tatsächlich das eine aus einhundert Losen zog, welches den Gewinn versprach, war noch eine weitere Überraschung. Vor allem, da ich nicht vorhatte, sonderlich viel Bücher von der Messe mitzunehmen. Dass ich zu diesem nicht Nein gesagt habe, erfüllt mich nun aber mit Freude. In wenigen Tagen (und das trotz Heimaturlaub, der immer viele zwischenmenschliche Interaktionen mit sich bringt) habe ich diesen ersten Band verschlungen und sehr genossen.

 

Extrem viel Worldbuilding

Ich hatte nicht wirklich eine Vorstellung davon, was mich in diesem Buch erwarten würde. Die erste Beschreibung klang jedoch sehr abenteuerlich. Die Autorin holt uns zwar in einer Welt ab, die unserer genug ähnelt, um uns darauf einzulassen, bringt dann aber immer mehr und mehr neue Elemente ein. Die Unterwelt, die sich Anne Herzel erdacht hat, basiert auf den Katakomben unter London, reicht jedoch viele weitere Schichten hinab, die verschiedene Herausforderungen und Charaktere mit sich bringen.

Gemeinsam mit unserer Hauptfigur Maeve entdecken wir zahlreiche Geheimnisse über die Menschen und andere Wesen, die dort leben und versuchen zu überleben. Dadurch dass wir keinerlei vergleichbare Welt aus anderen Büchern kennen, war mir die Einführung von immer neuen Wesen von Zeit zu Zeit etwas zu viel. Das führt dazu, dass ich durchweg nicht so recht eine Ahnung hatte, was ich erwarten konnte. Vielmehr genoss ich hingegen die Wiedersehen und langwierigen Begleiter*innen, die Maeve (mehr oder minder freiwillig) um sich schart. Besondes Selvice und Blaise schließen wir natürlich ins Herz, aber andere wiederkehrende Charaktere haben auch ganz wundervolle Momente.

 

Casual Queerness oder aktivistische Geschichte

Was mir überhaupt erst die Möglichkeit verschafft hat, dieses Buch lesen zu dürfen, und Annes Frau auf uns aufmerksam gemacht hat, war unser Gespräch über quere Bücher. Zu Beginn dieses Buches fragte ich mich dann, inwiefern dies hier vertreten sein würde. Bald schon merkte ich voller Begeisterung und Sorge, dass unsere Hauptfigur gegen Bezeichnungen wie „Kleine,“ „Dame,“ oder „Mädchen“ eine gewisse Abneigung empfindet, obwohl Maeve scheinbar von anderen als Frau gelesen wird. Diese Thematik vertiefte sich dann noch mit den Unterweltlern, die der menschlichen, binären Zuordnung von Geschlechtern nichts abgewinnen können. Anne Herzel kreiert somit eine Gesellschaft, die einander nicht binär einordnet, sondern einander als „dey“ bezeichnet. Ich habe diese Komponente und wie sich Maeve endlich gesehen fühlt ungemein genossen. Den Unterweltlern gegenüber stehen die Tiefenschürfer, die den überirdischen Konventionen verhangen sind und vor allem Profit im Sinn haben, weniger Menschlichkeit. Sie werden auch unseren Protagonist*innen immer wieder zum Verhängnis.

 

Fazit

Ein packender Auftakt, der uns wortwörtlich immer tiefer in die von Anne Herzel geschaffene Welt hineinzieht, während wir mit Maeve vor allem einen Ausweg suchen. Doch genau wie dey genießen wir unseren Aufenthalt zu gewissen Teilen, egal wie gefährlich und schockierend dieser ist. Ich hoffe, dass ich auch eine Chance haben werde, den zweiten Band zu lesen und sowohl diese Welt, als auch die Beziehung zwischen Maeve und Blaise weiter zu erkunden.

 

 


Die Autorin:

Anne Herzel wurde 1992 im mittelfränkischen Dinkelsbühl geboren. Heute lebt sie mit ihrer Frau Lena in Leipzig. Schon während ihrer Jugend hat sie sich intensiv mit dem Schreiben beschäftigt, dies jedoch erst mit ihrem Journalismus-Studium wieder aufgegriffen.
Ihre Buchideen entwickelt sie aus dem Antrieb heraus, Sichtbarkeit für Menschen aus der queeren Community zu schaffen. Insbesondere auf Twitch ist sie, gemeinsam mit ihrer Ehefrau, Teil einer aktiven Gemeinschaft, die sich für LGBTQIA+ und marginalisierte Menschen im Allgemeinen einsetzt. Q

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